Das Königssilber 2

Die St. Barbara Bruderschaft zählt zu den ältesten Bruderschaften in unserer Region, wie in der Chronik festgehalten ist. Ihre Mitglieder spielten eine bedeutende Rolle bei Prozessionen und kirchlichen Festen als Vorbeter und Ordner. Sie sorgten für den Schutz des Allerheiligsten, wenn nötig, und trugen zur Verschönerung der Gottesdienste an Fest- und Wallfahrtstagen bei. Zudem engagierten sie sich für ein christliches Leben in Familie und Gemeinde.

Während der Glaubenskriege und Glaubensspaltungen, sowie den damit einhergehenden langjährigen Kriegswirren, stellten sie einen Schutz für Kirche und Klerus dar. Die Landesherren erkannten ihren Beitrag an, und sie waren bereit, bei Bedarf mit der Waffe in der Hand Glaube, Sitte und Heimat zu verteidigen. Zur Förderung des Waffengebrauchs entstanden Schießbahnen, flache Schießstände, an deren Ende eine Zielscheibe stand. Der Vogelschuss entwickelte sich zu einem beliebten Wettbewerb, wie er auch heute noch weit verbreitet ist.

In den meisten Fällen besaß jede Bruderschaft ihre eigene Schießrute, eine lange Stange, auf der der Vogel aufgesetzt wurde. Das Königssilber, ein kostbares Symbol, bezeugt ihre tiefe Verbundenheit mit Glaube, Sitte und Heimat.

Königssilber der St. Barbara Bruderschaft Neuwerk e.V.
Königssilber

Der König wurde derjenige, der den hölzernen Vogel oder den Rest von der Stange herunterschoss. Als König hatte er in früheren Zeiten die Verantwortung für die Aufzüge der Bruderschaft und das Bruderschaftsspiel an den festlichen Tagen. Zur Kennzeichnung seiner Königswürde wurde er mit dem kostbaren Königssilber geschmückt, das aus silbernen Schilden bestand.

Gemäß den Satzungen der St. Barbara Bruderschaft Neuwerk aus dem Jahr 1684 war der König verpflichtet, im Verlauf seiner Amtszeit einen weiteren silbernen Schild (Plakette) zum Königssilber beizusteuern, der mindestens anderthalb Loth schwer sein musste und aus bewährtem Silber bestand. Diese Schilder trugen in den Anfangsjahren oft das Bild des Schutzpatrons oder Namensgebers des jeweiligen Königs, häufig auch das Bild der heiligen Barbara.

Nach einem Dokument vom 28. Dezember 1746 wurde eine silberne Platte mit dem Bildnis des heiligen Cornelius angefertigt, da in diesem Jahr Cornelius Bockers aus Bettrath König der Bruderschaft wurde. Dieses Schriftstück ist unterzeichnet von Rutgern Diethrich, einem Goldschmied aus Gladbach, und wurde den damaligen Brudermeistern Henricus Bockers und Corst Nüver (Christian Noever) überreicht.

Es war bei den Königen beliebt, die von ihnen gestiftete silberne Plakette mit Symbolen ihres eigenen Berufs zu schmücken. So zeigen beispielsweise zwei Stiefel die Königsplakette aus dem Jahr 1824, als Winand Zirden König war. Im Jahr 1899 zeigt die Plakette Amboss, Zange und Hammer, da Heinrich Compes König war.

Nicht jeder König war finanziell in der Lage, sich die Königsplakette bei einem Goldschmied anfertigen zu lassen. So zeugen grob eingeritzte Schriftzüge und Darstellungen davon, dass der König selbst Hand angelegt hat und die Platten aus Silbermünzen eigenhändig getrieben und beschriftet hat.

Wenn jeder König verpflichtet war, einen Silberschild beizusteuern, müsste die Bruderschaft heute eigentlich Hunderte von Schilden besitzen, nach all den Jahren. Doch das ist nicht der Fall. Aktuell verwaltet die St. Barbara Bruderschaft lediglich 75 Königsplaketten. Einige davon sind am großen Königssilber angebracht, und eine, nämlich die Kreuzplakette von Matthias Maahsen, bildet das Herzstück des sogenannten kleinen Königssilbers. Sie alle befinden sich sicher im Tresor einer Bank, nicht aufgrund ihres materiellen Wertes, sondern aufgrund ihres immensen ideellen Stellenwerts für die Bruderschaft.

Doch wo sind die fehlenden Platten geblieben? Bereits in frühester Zeit wurden Schilde von den Brudermeistern, wenn es notwendig war, veräußert. Dies ist durch eine Quittung vom 22.01.1740 dokumentiert. Des Weiteren wurden im Jahr 1762 mehrere Schilde an den Goldschmied Matthias Schellges aus Neersen übergeben, um eine neue Hellebarde (eine Pike der Peke) anzufertigen. Auch hierüber liegt eine Quittung vor, da auch die Neugestaltung einer alten Pike aus dem Jahr 1724 erfolgte.

Im Laufe der Zeit wurden auch Schilde an die Pfarre Neuwerk abgegeben, um kirchliche Geräte wie beispielsweise eine Monstranz instand zu setzen. Dies geschah in den Jahren 1804 und 1809. Ein Dokument aus dem Jahr 1809 lautet wie folgt: „Wir, der unterzeichnete Pastor und Kirchenmeister von Neuwerk, bescheinigen hiermit, dass die oben genannte Bruderschaft der hl. Barbara zu Neuwerk ihre silbernen Platten, welche sie bei Vogelschießen üblicherweise verwendete, zum Nutzen ihrer Pfarrkirche in Neuwerk eingesetzt hat. Geschehen in Neuwerk am 18. August 1809, Petrus Leufgens, Pastor.”

Dieser Schriftsatz wurde auf Anfrage der französischen Besatzungsverwaltung zur Verfügung gestellt. Somit blieb das älteste bekannte Stück, das das Königssilber ziert, erhalten – ein silberner Vogel. Dieser Vogel ist 14 cm lang, trägt eine Krone auf dem Kopf und auf seiner Brust ist in Großbuchstaben eingraviert: „1698 IS DEISER VOGEL AUS DER BRUDERSCHAFT SILBER GEMACHT: LORENS COMPES ZURZEIT BRUDERMEISTER”.

Die Silberplatte des Königssilbers
Silberplatte

Das bedeutet im Klartext, dass die zuvor vorhandenen Silberplatten eingeschmolzen wurden, um den Vogel herzustellen. Neben dem bereits erwähnten silbernen Vogel blieben der Bruderschaft gemäß einer Aufstellung aus dem Jahr 1821 ein silberner Stern mit der Jahreszahl 1763, ein Schild aus dem Jahr 1789, ein größerer Stern von 1797 sowie zwei Schilde aus den Jahren 1802 und 1804 erhalten. Dazu kommen die bereits erwähnten zwei Piken und neun Schilde jüngeren Datums mit einem Gesamtgewicht von zwei Pfund und 14 Loth (1 Pfund = 30 Loth).

In einem Protokoll des Vorstandes der Bruderschaft vom 30. November 1841 ist unter anderem Folgendes vermerkt: „Der Vorstand hielt es für angebracht, das vorhandene Silber sowie die Piken zu wiegen und die einzelnen Platten zu zählen. Insgesamt 3 Pfund 3 3/14 Loth – darüber wurde ein Protokoll aufgenommen und unterzeichnet.”

Eine weitere Aufstellung des Königssilbers vom 17. Februar 1847 zählt 30 Teile auf. Wie bereits beschrieben, wurden im Laufe der Jahre Teile des Silbers zur Verschönerung und Instandsetzung von kirchlichen Geräten verwendet. Leider wurden dabei oft die ältesten Schilde abgegeben, da ihr historischer Wert nicht angemessen gewürdigt wurde. Das Königssilber, wie es heute existiert, ist nicht nur ein bedeutender Bestandteil der Bruderschaftsgeschichte, sondern auch ein wertvoller historischer Beleg für die lokale Heimatkunde, da auf den Schilden zahlreiche Familiennamen aus Neuwerk und der näheren Umgebung verzeichnet sind.

Das Silber hat es dem letzten Vorkriegskönig Matthias Maahsen aus Uedding zu verdanken, dass es die unglückliche Zeit zwischen 1936 und 1945 unbeschadet überstanden hat. Er nähte das Königssilber in eine Matratze ein, um es vor dem Zugriff der Nazis zu schützen. Nach dem 2. Weltkrieg nahm die Menge des Königssilbers derart zu, dass 1982 beschlossen wurde, anstelle der großen Schilde kleinere Plaketten anzufertigen. Diese dürfen maximal vier mal vier Zentimeter groß sein und müssen aus 990er Sterling-Silber gefertigt sein. Seitdem existiert neben dem großen auch ein kleines Königssilber, dessen Herzstück die Kreuzplakette des zuvor genannten Königs Matthias Maahsen ist. Eine der vorrangigen Aufgaben des Bruderschaftsvorstands war und wird hoffentlich immer sein, das erhaltene Königssilber zu pflegen und in Ehren zu halten.